Von Roman Horschig
Die Arbeit der Schiedsrichter-Ausbilder und -Ansetzer
Unparteiisch im Hintergrund
von Roman Horschig | Atomphysik? Raketenwissenschaft? Nein, nur die Schiedsrichterplanung für die aktuelle Landesligasaison. Auf solche Gedanken kommt jeder, der sich das erste Mal mit der Komplexität der Arbeit eines Schiedsrichter-Ansetzers befasst. Teilweise fast hundert Spiele pro Wochenende, weit mehr als tausend Matches pro Jahr müssen die Ehrenamtler sondieren und besetzen. Ein gigantisches Volumen an fokussierter Arbeit – die hauptsächlich im Verborgenen stattfindet.
Einer, der dieses spezielle Ehrenamt seit fast 27 Jahren ausübt, ist Giuseppe Tarulli. Der Schiedsrichter-Ansetzer sagt schmunzelnd: «Mein Vorgänger hat den Job ein Jahr gemacht, dann stand seine Ehe auf dem Spiel …» Das war damals noch die tägliche Arbeit in der Schiedsrichtergruppe Heidelberg, die Tarulli dann selbst 16 Jahre lang ausübte. Heute betreut er als Ansetzer für den bfv u. a. die Landesligen und die Verbandsliga mit noch mal deutlich mehr Verantwortung. Wie jeder Ansetzer hat der heute 60-Jährige früher auch selbst gepfiffen. Diese große Leidenschaft ist dem Mann, der hauptberuflich als Sicherheitsmitarbeiter in einem Heidelberger Forschungszentrum arbeitet, anzumerken. «Ich will dem Fußball etwas zurückgeben», stellt er klar.
«Kenne deine Leute»
Ein Schwerpunkt bei der Arbeit eines jeden Ansetzers liegt in der Kommunikation. Spontane Absagen, kurze Reaktionszeiten und den Fokus halten sind das tägliche Brot. Die grundsätzliche Planung läuft via DFBnet. Bei spontanen Themen ist WhatsApp mittlerweile das gängige Mittel für die schnelle Ersatz-Findung. Sollte Not am Mann sein, helfen sich die Schiedsrichtergruppen auch über die Verbandsgrenzen aus. Teilweise wird noch etwas melancholisch an das alte Spieleinteilungssystem per Postkarten zurückgedacht, die neuen modernen Technologien sind allerdings maximal effizient.
Dennoch gibt es trotzdem immer wieder brenzlige und knifflige Situationen, «Wir müssen ja auch Rücksicht auf die Ligen darüber nehmen», sagt Tarulli. Es macht seine Arbeit nicht leichter, dass die Regional- und Oberliga ihre Assistenten aus dem Schiedsrichter-Pool der Verbandsliga rekrutiert. Die Unparteiischen werden in der Regionalliga in der Regel zehn Tage vor dem Spiel eingeteilt, die nachfolgenden Ligen reagieren dann darauf. Eine weitere Herausforderung: Die aktuelle Rückgabequote von Spielen auf Landesliganiveau liegt bei rund 10 Prozent, je tiefer es spielklassenmäßig geht, desto höher wird sie – gerade auch zu Beginn der Runde, wenn die Unparteiischen ihre Termine noch nicht gepflegt haben. Im Jugendbereich liegt die Rückgabequote dann teilweise sogar bei um die 50 Prozent. «Das ist die ganz harte Schule», sagt Philipp Herbst, der als Ansetzer seine ersten Schritte im Nachwuchsbereich gemacht hat und mittlerweile im Schiedsrichterausschuss des wfv aktiv ist. Heute teilt er auf Verbandsebene Unparteiische ab der Landesliga ein und hat hier rund 150 Schiedsrichter in seinem Adressbuch. «Kenne deine Leute», lautet das Motto des motivierten 42-Jährigen, der für seine detaillierte Arbeit brennt.
Auf die Kapazitäten der einzelnen Schiedsrichtergruppen, aber eben auch auf persönliche Befindlichkeiten wie die berufliche Situation, familiäre Angelegenheiten oder auch das Hochschulstudium kann er so besser Rücksicht nehmen. Dazu kennt Herbst die Stärken, Schwächen und Vorlieben seiner Referees. Mit all diesem «Kopfwissen» entsteht dann am Ende ein gutes Bauchgefühl, um die Einteilung optimal zu gestalten.
«Man kann auch nicht immer denselben Unparteiischen die Spitzenspiele geben», erklärt der wfv-Ansetzer. Es werden daher nicht nur Schiris für Spiele, sondern im Bedarfsfall auch Spiele für Schiris gesucht. Der Ingenieur, der selbst bis vor drei Jahren – 23 Jahre lang – bis zur Verbandsliga gepfiffen hat, kennt auch die andere Seite und erzählt schmunzelnd: «Ich hatte mal in jungen Jahren meinen Führerschein verloren, da wurde logistisch sehr auf mich Rücksicht genommen und die Spiele wurden so angesetzt, dass meine Assistenten mich abholen konnten. Der damalige Ansetzer meinte, ich solle nun halt auf dem Platz mehr Gas geben …»
«Wie auf dem Basar»
Der Ligabetrieb ist für die Ansetzer das eine, die vermeintlich entspannte spielfreie Zeit das andere. «Da fangen viele Vereine schon die Planungen für die Vorbereitung an, noch bevor die Mannschaften gemeldet sind», berichtet Giuseppe Tarulli. Philipp Herbst unterstreicht: «Da geht’s manchmal vogelwild zu – wie auf dem Basar und unabhängig von der Spiel- oder Altersklasse. Ein Vorbereitungs- oder Freundschaftsspiel wird vom Verein drei Tage vorher angesetzt, zweimal verlegt, dann noch der Platz getauscht und am Ende fällt es aus … Da bleibt uns nichts anderes übrig, als in dieser Zeit jeden Tag mehrmals ins System zu schauen, damit nichts schiefläuft.»
Die Koordination der Schiedsrichter-Ansetzer erfordert zudem ein hohes Maß an Schnittstellenkompetenz. Das bedeutet für die Ansetzer manchmal auch, die notwendigen Informationen selbst zu beschaffen. Tarulli: «Wenn ich in einem Spielbericht von einem Abbruch erfahre, hake ich schon beim Obmann oder beim Unparteiischen nach. Manchmal reißt bei der Fülle der Spiele die Kommunikation bis zu mir ab – ich muss aber über besondere Vorkommnisse Bescheid wissen, um bei kommenden Ansetzungen entsprechend reagieren zu können.»
Lebenslanges Lernen
Das Zusammenspiel zwischen Schiris, Ansetzern und auch dem Obmann ist wesentlich, um die Referees abzuholen. «Das Gefühl im Bauch, dass ein Ansetzer hat, kann auch eine KI nicht ersetzen», sagt Christian Rose, Schiedsrichter-Obmann im SBFV-Bezirk Baden-Baden. «Für eine zielführende Ausrichtung fehlen einfach die weichen Daten», so der IT-Fachmann und nennt als Beispiel die Einordnung von Spielen: «Schwierig» könne, so Rose, Erster gegen Zweiter sein, Nationalität A gegen Nationalität B, eine Revanche oder ein Derby. Für solche Fälle sei es auch wichtig, «Joker» und «Universalisten» an der Hand zu haben, die man jederzeit anrufen und zu jedem Spiel schicken kann, erklärt Herbst. «Ohne die bräche das System zusammen.»
Damit immer wieder solche Joker – meist sind es Schiedsrichter mit viel Erfahrung – heranwachsen, gilt es, stetig neue Referees auszubilden. Vor allem aus Altersgründen hören immer wieder Unparteiische auf. Aber auch manche Neulinge springen schnell wieder ab. Um die Abbruchquote bei den jungen Schiris möglichst niedrig zu halten, wurde beispielsweise die Ausbildung im wfv vor einiger Zeit umgestellt, sodass jeder Neuanfänger schon vor der Prüfung wertvolle Praxiserfahrung sammelt. Die angehenden Unparteiischen leiten – nach einer kurzen Regelkunde – probeweise Spiele im unteren Jugendbereich, um den «Praxisschock» zu umgehen. «Man muss generell die Situation auf dem Platz erleben, um Sicherheit zu gewinnen», sagt Christian Rose, der, bevor er Bezirksobmann wurde, sechs Jahre lang in Baden-Baden als Lehrwart tätig war. Aber auch wegen seiner mehr als 20-jährigen Erfahrung an der Pfeife betont der Landesligaschiri: «Selbst wenn du auf hohem Niveau pfeifst, ist es ein lebenslanges Lernen.» Auch die Persönlichkeitsentwicklung steht daher bei der vierwöchigen Ausbildung im Mittelpunkt. «Gerade bei Jugendlichen, die etwa zwei Drittel der Neulinge ausmachen, schulen wir beispielsweise, wie mit Unsicherheit umzugehen ist. Sich abzuschotten – ein Schutzmechanismus –, kann schnell arrogant wirken», so Rose.
Auch über Spielvideos, die es ja zunehmend in der Breite der Amateurligen gibt, werden die meist jungen Akteure auf das Geschehen auf dem Platz vorbereitet. Beispielsweise auch darauf, dass man als Unparteiischer plötzlich auch den Unmut des Trainers, der Zuschauer oder – im Jugendbereich – von Eltern auf sich zieht «Die Unruhe auf dem Rasen wird größer, wenn auch von außen mehr dazukommt», sagt Lea Fuchs, die sich im wfv-Schiedsrichterausschuss auch um die Qualifizierung und Neulingsgewinnung von Frauen an der Pfeife kümmert. Um die Frauen bei der Pfeife zu halten, stellt Fuchs derzeit einen umfangreichen Austausch aller Schiedsrichterinnen im wfv her. Im Landesverband gibt es insgesamt 39 Regionalgruppen, aber nur ein bis zwei Frauen pro Einheit. «Sich mit anderen Frauen auszutauschen, gibt den weiblichen Referees, gerade den jungen, mehr Sicherheit», betont die 29-jährige Bautechnikerin.
«Eine Lösung gibt es immer!»
«Tatsächlich kämpfen wir bei den Schiedsrichtern um Bestandserhaltung», sagt Herbst, der in Reutlingen zwar den «Luxus» hat, Neulingskurse mit rund 30 Teilnehmenden voll besetzen zu können, nach einem Jahr jedoch davon auch rund zwei Drittel Abgänger verbuchen muss. Um die Abbruchquote bei den jungen Schiris niedrig zu halten, gibt es das Patensystem. Jeder Neuling erhält zu Beginn einen erfahrenen Schiedsrichter an die Hand, der den Nachwuchs begleitet und mit Rat und Tat zur Seite steht. Ein qualitativ hochwertiges Mentorship, das schnell Sicherheit und Ruhe gibt. Im «Jahr der Schiedsrichter» waren hierbei zuletzt auch Bundesligaschiris im Einsatz. «Einen unserer engagiertesten Neulinge haben wir bei seinem ersten Einsatz mit Daniel Schlager als Paten belohnt, eine Super-Geschichte», erzählt Rose, der optimistisch in die Zukunft blickt, aber auch klarstellt: «Wir sind auf die Vereine angewiesen, dass sie uns passende Neulinge schicken.»
Einen Daniel Schlager haben weder Giuseppe Tarulli noch Philipp Herbst bis dato eingeteilt, trotzdem werden in der Planung immer einige Spiele freigehalten. Schließlich kann auch aus der Regionalliga jemand in die Landesliga geschickt werden. Tarulli sagt dazu lächelnd: «Ich bin von mir selbst überrascht, wie ruhig ich mittlerweile geworden bin.» Selbst wenn kurz vor dem Wochenende noch Spiele unbesetzt sind, herrscht beim routinierten Ansetzer Gelassenheit. Und das mit Grund. Denn der Zusammenhalt untereinander ist groß, jeder hilft, wo er kann.
Und unterm Strich zeigt die Erfahrung, dass meistens alles passt: Engagierte Unparteiische absolvieren die Lehrgänge und führen dieses besondere Hobby mit Freude aus, sodass zu den Amateurspielen im Land in der Regel ein Schiedsrichter auftaucht – egal wie spontan, egal wie unvorhergesehen und egal auf welchem Level. Über das wichtigste Motto der Ansetzer und Ausbilder sind sich Fuchs, Herbst, Rose und Tarulli daher ganz schnell einig: Eine Lösung gibt es immer! | Roman Horschig, München