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Von Gerhard Wolff

Chemotherapie und Oberliga-Fußball

Vom Glück im Unglück des Tobias Stoll

| Im Sommer 2020 erhielt der Stürmer des Oberliga-Aufsteigers ATSV Mutschelbach die Diagnose – Krebs. Für den 33-Jährigen war das nicht der erste Tiefschlag abseits des Platzes. Dort mischt er trotz anhaltender Chemotherapie munter mit – und geht mit seiner Positivität als Vorbild voran.

Tempo und Intensität – die Oberliga ist da noch mal eine andere Hausnummer als die Verbandsliga. «Ich habe mir ehrlicherweise schon Gedanken gemacht: Wie wird das körperlich?», gesteht Tobias Stoll im Rückblick. Weniger, weil der Stürmer des frech auftrumpfenden Aufsteigers ATSV Mutschelbach mit mittlerweile 33 Jahren im reiferen Fußball-Alter ist. Sondern vielmehr wegen der besonderen Art der Doppelbelastung: Chemotherapie und Oberliga-Fußball.

Jetzt, da sich die Saison schon mitten in der zweiten Halbserie befindet, ist klar: Tobias Stoll meistert auch in der höchsten baden-württembergischen Spielklasse beides. 15 Spiele, 5 Tore standen bis zur Winterpause in seiner Statistik. «Es ist ein sehr gutes Gefühl», sagt der Karlsruher mit Blick auf den bisherigen Verlauf der Saison, in der nicht nur die Mutschelbacher ihre Erfolgsstory in der höheren Spielklasse weiterschreiben, sondern eben auch Tobias Stoll seine ganz persönliche.

Dessen Geschichte, die auch vom Glück im Unglück handelt, hätte in der Vergangenheit schließlich ganz andere Wendungen nehmen können. Stoll war mit seiner Familie im Freibad, als ihn im Sommer 2020 der Anruf ereilte, der letzte Zweifel ausräumte – an der Bösartigkeit des Tumors. «Ein Riesenschock», sagt Stoll, dessen Tochter damals gerade ein Jahr alt war. Und dessen Papa nun wusste, was ein «follikuläres Lymphom» ist. Nichts Gutes. Aber das Gute war, dass der Krebs im Bereich der Leber früh entdeckt worden war.


Freitags Chemo, samstags Oberliga

Die Chemotherapie konnte aufgrund des frühen Befunds über drei Jahre angelegt werden, ohne die ganz schlimmen Nebenwirkungen. Zum Ende dieser Saison endet auch die Therapie, bis dahin lebt Stoll weiter im Vier-Wochen-Zyklus. Drei Wochen lang muss er jeden Tag seine Chemo-Tablet­ten schlucken, dann ist eine Woche Pause. Alle acht Wochen bekommt er im Heidelberger Uni-Klinikum zusätzlich eine Infusion. Am letzten Verbandsliga-Spieltag übrigens hat Stoll am Tag nach einem solchen Termin zwei Tore gegen den SV Spielberg gemacht. «Freitags Chemo, samstags gekickt und zwei Hütten gemacht», wie es Stoll selbst prägnant zusammenfasst – und dabei glücklich grinst.

Tobias Stoll strahlt nicht nur in Gesprächen eine Positivität aus, die auffällig ist. «Er ist ein Vorbild für alle, hat nie schlechte Laune», sagt sein Trai-ner Dietmar Blicker. Positiv denken, positiv bleiben – Stoll hat das lernen müssen. Denn die Krebs­diagnose war nicht der einzige Tiefschlag, den der leidenschaftliche Fußballer abseits des Platzes einsteckte. Wobei man an der Stelle von Stolls Geschichte angelangt wäre, die vom Glück im Unglück erzählt. Denn der Tumor in der Leber wäre wohl nie so früh erkannt worden, wenn bei ihm nicht schon vor Jahren ein chronische Gallenwegs­erkrankung diagnostiziert worden wäre und Stoll sich seither regelmäßig untersuchen lassen muss.

Primär sklerosierende Cholangitis, kurz PSC, heißt das Übel, das auch die Leber zerfrisst. Seit 2017 steht Tobias Stoll auf der Transplantationsliste.

«Klar hat man das im Kopf, aber es bringt ja nichts, sich verrückt zu machen», sagt Stoll, der im November mal wegen einer Entzündung in den Gallengängen aussetzen musste. Eine Folge der PSC-Erkrankung. Das sind auch die Momente, in denen der Offensivmann die Chemo-Nebenwirkungen spürt. «Wenn ich krank bin, brauche ich länger, um wieder fit zu werden», berichtet er. Und natürlich gibt es Phasen, in denen ihm auch mal die positive Energie ausgeht. Dann gibt Stoll vor allem die mittlerweile vier Jahre alte Tochter Kraft, wie auch Familie und Freunde. Und natürlich: der Fußball. Trainer Blicker ist eine wichtige Bezugsgröße für Stoll, auch der Verein mit seinem «familiären Umfeld». Das «Gesamtpaket» beim ATSV ist «rund», betont er.


Die Liga etwas aufmischen …

Im Sommer 2017 kam Stoll zu dem zwischen Karlsruhe und Pforzheim gelegenen Dorf-Club, der damals noch in der Landesliga kickte und sportlich wie strukturell in den Jahren danach so konsequent wie nachhaltig den Weg nach oben einschlug. Für Stoll schloss sich mit der souveränen Verbandsliga-Meisterschaft im vorigen Sommer auch ein sportlicher Kreis. «Jetzt noch einmal Oberliga zu kicken ist einfach geil», sagt der Torjäger, der 2012/13 und 2013/14 für den Karlsruher SC II und den TSV Grunbach schon einmal in der Oberliga stürmte und zuvor mit dem KSC auch auf ein paar Regionalliga-Einsätze gekommen war.

Spiele auf der Waldau bei den Stuttgarter Kickers, aber auch die Derbys mit den Pforzheimer Clubs, «das sind echte Highlights», sagt Stoll, der mit dem ATSV auch im weiteren Saisonverlauf für positive Schlagzeilen sorgen will. «Es macht Spaß, die Liga etwas aufzumischen», erklärt der Mittelstürmer, für den das gewachsene Mutschelbacher Kollektiv der Erfolgsfaktor ist: «Der Ehrgeiz und Wille jedes Einzelnen, aber auch als Team – das ist das, was uns ausmacht». Und auch wenn es mal nicht so lief, «haben wir uns nicht unterkriegen lassen».

Letzteres trifft ja in besonderem Maß auch auf ihn zu. In ein paar Monaten endet die Chemotherapie, die – Stand jetzt – ihre erhoffte Wirkung entfaltet hat. «Es sieht ganz gut aus, die Richtung stimmt», berichtet Stoll, der jederzeit erreichbar sein muss – für den Fall, dass eine Leber für ihn gefunden worden ist. Und sonst? Ist Tobias Stoll heilfroh, dass er sich die Oberliga noch einmal «angetan» hat: «Solange es geht, nehme ich das voll mit.» |