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Von Wolfgang Stehle

Die Gründung der «Oberliga Süd»

Der Traum einer großen Liga

| Die «Oberliga Süd» wurde im Frühling 1945 als Profi-Liga nach englischem Vorbild ins Leben gerufen – inmitten der turbulenten und entbehrungsreichen Nachkriegszeit. In der Printausgabe unseres Magazins zeichnen wir die beein­druckende Gründungsgeschichte nach. Grundlage ist eine dreiteilige Serie, die 1949 im «Sport­bericht» erschien.

«Die Straßenbahnen fuhren nicht, die Post verkehrte nicht, man konnte nicht telefonieren. Es gab kein Gas und nur stundenweise elektrisches Licht», schildert Reinhold Appel, Gründer und Autor des «Sportberichts», die Situation im Frühling 1945. «Um uns herum standen Ruinen. Doch die größte Sorge für jeden Familienvater, für jede Mutter, war die Sorge um das tägliche Brot. Franzö­sische Kampftruppen, zum größten Teil Marokkaner, hatten Stuttgart besetzt. Nicht mehr als drei Personen durften zusammenstehen.»

Die Probleme sind handfest, wahrlich keine Zeit, um über die schönste Nebensache der Welt nachzudenken. Doch «das Spiel mit dem runden Lederball erwies sich stärker als Verbote, Not und Hunger». Bereits wenige Tage nach der bedingungslosen Kapitulation, am Freitag, den 18. Mai 1945, wurde die Idee der Süddeutschen Oberliga geboren.

Vater der Vision war Ernst Schnaitmann, «Dentist» und Torwart des VfB Stuttgart, dem eine professionelle Liga nach Vorbild der 1. Division in England vorschwebte. Ähnliche Pläne gab es bereits 1932 und früher, sie waren jedoch immer am Widerstand der kleinen Vereine gescheitert. Mit Hilfe des fußballfanatischen Stuttgarter Polizeipräsidenten Weber besorgte Schnaitmann beim ranghöchsten französischen Offizier in der Stadt eine Genehmigung zu einem Fußballspiel in Degerloch am 8. Juli 1945.

Die Genehmigung hatte Schnaitmann zwar in der Tasche, doch es musste noch «ein ganzer Berg von Hindernissen» überwunden werden, schildert Appel. Um sich die geplünderte Sportbekleidung wieder zu beschaffen, wagte sich Schnaitmann mit zwei Kollegen ins «Russenlager» in Obertürkheim. «Im Lager sahen sie auch sofort einige VfB-Sporthemden auf Wäscheleinen hängen.» Nach zwei Stunden intensiver Verhandlung mit 200 zunehmend alkoholisierten Russen, so schildert es der Bericht, wurde das Trio vom Hof gejagt. Die VfB-Abordnung gab die Hemden verloren und machte sich aus dem Staub. Dass es um nicht weniger als Leben oder Tod ging, erfuhr einer der beteiligten Deutschen erst im Nachgang von einem 18-jährigen Russen, der sich für ihn eingesetzt hatte. Am selben Tag waren sechs Polizeibeamte in Stuttgart ermordet worden.


Der Traum einer «großen Liga»

Vereine waren in Mitte 1945 per Kontrollratsgesetz erst einmal verboten, von sämtlichen Stuttgarter Sportplätzen war nur «der Kickersplatz in Degerloch» bespielbar. Die Franzosen wollten aus dem Gelände eigentlich einen Schießplatz machen, doch dem damaligen Kickers-Trainer Ossi Müller gelang es, die französischen Soldaten selbst für das Fußballspiel zu begeistern. Das nebenan gelegene und von Ukrainern besetzte Clubhaus der Sportfreunde war indes völlig verwanzt. Da sich niemand mehr hineinwagen wollte, wurde das Gebäude kurzerhand niedergebrannt. Endlich stieg nach mehreren Anläufen am 16. Juli schließlich der «erste genehmigte Kick nach dem Kriege» zwischen «Wasen und Degerloch». 6000 Zuschauer verfolgten vor Ort, wie am Sonntagnachmittag zwei bunt zusammengewürfelte Mannschaften 4:4 unentschieden spielten.

Hinter den Kulissen steckten in der Folge verschie­dene Strippenzieher die Köpfe zusammen, um den Fußball wieder in organisierte Bahnen zu lenken. Schnaitmann verfolgte als einer der wenigen nach wie vor den Traum von einer «großen Liga». Mit dem Bleistift notierte er sich folgende 16 Vereins­namen: 1. FC Nürnberg, Spvgg. Fürth, 1860 München, Bayern München, Schwaben Augsburg, BC Augsburg, FSV Frankfurt, Eintracht Frankfurt, VfR Mannheim, Offenbacher Kickers, FC Schweinfurt, Karlsruher FV, Phönix Karlsruhe, Waldhof Mannheim, Stuttgarter Kickers und VfB Stuttgart.


Eine abenteuerliche Reise

16 Vereinsnamen hatte sich Ernst Schnaitmann, der den Traum einer «großen Liga» verfolgte, mit dem Bleistift auf einen Fetzen Papier notiert. Seine Überlegung: Wenn der VfB und die Kickers zusammenhalten, müsste es gelingen, auch andere große Traditionsvereine Süddeutschlands für seine Sache zu gewinnen. Richtig Bewegung in die Angelegenheit kam aber erst, als Schnaitmann auf Gustav Sackmann, ein altes Mitglied des VfB Stuttgart, traf. Dieser tauchte mit fertigen Plänen für eine «reine Profi-Liga unter der Regie von Managern und Geschäftsleuten» bei Schnaitmann auf. Der wiederum überzeugte Sackmann, den Wettbewerb mit etablierten Vereinen zu starten und beauftragte ihn damit, die 16 niedergeschriebenen Vereine zu besuchen und unterschriftlich zu binden.

In einer Art Probespiel sollten zunächst der VfB Stuttgart und der VfR Mannheim gegeneinander antreten. Um das zu vereinbaren, brach der Unterhändler zu einer abenteuerlichen Reise nach Mannheim auf. «Als Schnaitmann Benzin in den kleinen Tank seines Leichtmotorrades gießen wollte, wurde er von der amerikanischen Militärpolizei verhaftet», heißt es im «Sportbericht». Doch das Zauberwort «Sport» öffnete die Gefängnistore schnell wieder. In Mannheim angekommen, erkundigte sich Schnaitmann in einem Lebensmittelgeschäft «nach irgend einem Fußballer, mit dem er wegen eines Spielabschlusses verhandeln könnte». Eine Frau führte ihn zum Regierungsrat Geppert, der im badischen Fußballsport eine große Nummer war. Weil dieser aber nicht zu Hause war, hinterließ Schnaitmann eine Nachricht mit der Einladung zum Freundschaftsspiel in Stuttgart. Tatsächlich tauchte der VfR zum vereinbarten Termin auf und unterlag mit einer untrainierten Mannschaft dem eingespielten VfB mit 2:7. Viel wichtiger war aber: Schnaitmanns Rechnung ging auf, trotz strömenden Regens kamen mehr als 6000 «Zahlende».


Per Anhalter durch Süddeutschland

Der zweite im Bunde, Gustav Sackmann, war in der Zwischenzeit nicht untätig gewesen. Bereits einen Tag nach der Unterredung mit Schnaitmann brach er auf zu einer «Süddeutschlandreise». Seine Lebensmittelmarken aus Stuttgart waren in Mannheim keine fünf Pfennige wert, «doch überall gab es Sportfreunde», schildert der «Sportbericht». Ein offenbar fußballbegeisterter Metzgermeister bewirtete ihn fürstlich und Schnaitmann sackte die ersten Unterschriften von Waldhof und dem VfB Mannheim ein. «Die Brücken waren gesprengt, die Schienenstränge kaputt, die Wagen und Lokomotiven Wracks, den Autos fehlte der Sprit», wird die Situation im Nachkriegsdeutschland beschrieben. Doch Schnaitmann sei ein Fanatiker gewesen, besessen von der Idee, die Liga ins Leben zu rufen. Per Anhalter gelang ihm die Weiterreise nach Frankfurt und – mit den Unterschriften von FSV und Eintracht im Gepäck – weiter nach Offenbach, wo man ihm ebenfalls Gehör schenkte.

Auf einem Güterwagen ging es weiter nach Schweinfurt, per Anhalter nach Nürnberg. Dort war partout kein Fahrzeug aufzutreiben, sodass er für die letzten zehn Kilometer auf «Schusters Rappen» zurückgriff. Die Polizei bot ihm während der Sperrstunde ein warmes Plätzchen, frisch rasiert meldete er sich dann beim Club. Die Verantwortlichen wollten zuerst die Unterschrift der Spielvereinigung Fürth sehen, dort wiederum lachte man den «Phantasten» aus. Nach einem Hin und Her hatte der umtriebige Sackmann beide Unterschriften im Sack und setzte seinen Weg fort nach München, um Bayern und 1860 zu überzeugen. In Augsburg fiel es den Vereinen Schwaben und BCA aufgrund der Vorarbeit nicht schwer, zu unterschreiben, leichtes Spiel hatte er auch in Karlsruhe bei Phönix und beim KFV. Den Abschluss bildeten die beiden Stuttgarter Vereine Kickers und VfB.


Spielbetrieb startet parallel zur Oberliga Württemberg

Auf einer ersten Besprechung in der Fellbacher «Krone» beschlossen die 16 Vereine eine Interessengemeinschaft zur Wiedergründung des Süddeutschen Fußballverbands zu bilden. Weil wenige Tage zuvor die Wiederaufnahme des Amateur-Spielbetriebs in der Oberliga Württemberg genehmigt worden war, hatte man es plötzlich eilig und beschloss den 4. November 1945 als ersten Spieltag. Die Entscheidung, «den Amateurstandpunkt fallen zu lassen», wirbelte in der Öffentlichkeit mächtig Staub auf.

Bei Oberstleutnant Jackson, dem damaligen Stuttgarter Stadtkommandanten, erwirkte Sackmann die Genehmigung des Süddeutschen Fußball-Verbands. Später stellte sich zwar heraus, dass dieser gar nicht die Kompetenz hatte, eine länderübergreifende Organisation zu genehmigen. Doch als findige Köpfe dies herausfanden, war die Süddeutsche Oberliga längst gestartet und nicht mehr aufzuhalten. Auch das Kultusministerium gab seinen Segen und so wurde die Gründung des Süddeutschen Fußball-Verbands am 13. Oktober 1945 festgesetzt.


Widerstände keimen auf

Nicht überall aber stieß die «große Liga» auf Gegenliebe. Der Präsident des Bunds für Sport- und Körperpflege in Württemberg (Vorläufer des heutigen WLSB), Paul Keller, regte die Gründung einer eigenen Oberliga Württemberg an. In einem Brief an Stuttgarts Oberbürgermeister Dr. Arnulf Klett forderte er eine Untersuchung und kritisierte die Profi-Liga mit ihren bezahlten Akteuren scharf: «Damit würde ein Weg bestritten, der das Fußballspiel zu einer bloßen Schaustellung stempelt und jegliches ideale Ziel von vornherein zunichte machen würde …» Vom «rücksichtslosen Sportkapitalismus» arbeitsscheuer Personen war die Rede. Konkret forderte Keller, den 16 Vereinen alle städtischen und staatlichen Fußballplätze zu entziehen und dass kein Spieler dieser Vereine eine Scheinbeschäftigung erhalten dürfe.


Auseinandersetzungen und Hürden zum Start der «Sechzehnerliga»

Als Unterbau der «Sechzehnerliga», wie sie im ersten Jahr genannt wurde, sollten fünf regionale Landesligen installiert werden – perspektivisch darunter Bezirks- und Kreisligen. Einen Rückzieher machten die Strippenzieher in Sachen Amateur-Ausrichtung. Diese wollte man eigentlich fallen lassen, was mächtig Staub aufgewirbelt hatte. Stattdessen hielt man im Protokoll der Gründungsversammlung fest, dass «der Verband grundsätzlich am Amateurstandpunkt festhält, aber den Vereinen genehmigt, den Spielern ihre Unkosten reich zu vergüten». Zusätzlich zu Fahrgeld und Lohnausfall wurde ein Höchstsatz von 30 Reichsmark pro Spiel angesetzt.


Erste Scharmützel beginnen

Bei der Suche nach einem Vorsitzenden für seine Liga holte sich Sackmann bei den Herren Grau (Stuttgarter Kickers), Schrey (1860 München) und Hofmannn (1. FC Nürnberg) einen Korb ab. Bei seinem Stuttgarter Freund Dr. Fritz Walter wurde er schließlich fündig, Sackmann selbst wurde zum hauptamtlichen Geschäftsführer bestellt. Bei der Gründungsversammlung gab es allerdings «Krach», wie die Sportzeitschrift «Sportbericht» schildert. Durch eine Indiskretion hatten einige Vereine, die nicht auf Sackmanns Sechzehnerliste standen, von der Gründungsveranstaltung Wind bekommen und nutzten die Gelegenheit, um ihren Unmut über die Nicht-Berücksichtigung auszudrücken.

Die Widerstände der «Übergangenen» wurde in treue Anhängerschaft verwandelt, indem man ihnen den Aufstieg in die Oberliga Süd über die Landesligen in Aussicht stellte. Doch der frisch gegründete Verband stand direkt vor der nächsten Herausforderung: Schon einen Tag nach der Gründungsversammlung kam es zum ersten Streit zwischen dem Vorsitzenden und seinem Geschäftsführer. «Am ersten Tag ging es darum, wer den Stempel anschafft, wer den Schlüssel zum Postschließfach trägt und wer die Unterschrift unter die Briefe zu setzen hatte» schildert der «Sportbericht». Sackmann war das zu pedantisch gedacht. Er sah die Süddeutsche Oberliga nur als Zwischenschritt zu einer bundesweiten Profi-Division.


Die Oberliga Süd legt los und der SFV wird verboten

Am 4. November 1945 ging die Spielrunde dann wie geplant an den Start. «Obwohl die Eisenbahn nicht benutzt werden konnte, obwohl kein Benzin vorhanden war und die Essenmarken in der Nachbarstadt nicht galten und keine menschwürdige Unterkunft für die reisenden Mannschaften existierten», klappte der Start vorzüglich, war im «Sportbericht» zu lesen. Während man den reibungs losen Auftakt im Westen und Norden mehr als erstaunt zur Kenntnis nahm, war man im Süden stolz. Eine Welle der Begeisterung ergriff auch die kleinen Vereine, die sich spontan dem Süddeutschen Fußballverband anschlossen. «Wenn die Anmeldungen so weitergehen, erleben wir bald die alte stolze Größe unseres Verbands», schrieb Dr. Walters in einem vertraulichen Brief an die 16 Mitgliedsvereine.

Doch Gefahr drohte von Seiten der «links orientierten Landessportverbände». Diese machten weiterhin Stimmung gegen den neuen Fußballverband und hatten in Friedrich Strobel einen prominenten Mitstreiter. Der Prokurist, Beauftragter des Kultusministeriums und Vorsitzender der Sparte Fußball im «Bund für Sport- und Körperpflege» in Personalunion verbuchte seinen ersten Erfolg in Form einer Verzichtserklärung der Oberliga Süd. Deren Vorsitzender willigte ein, auf alle Vereine unterhalb der Landesliga zu «verzichten». Der geplante Unterbau mit Bezirks- und Kreisligen war also dahin. «Damit überließ Dr. Walter alle Vereine mittlerer und geringer Spielstärke dem Bund», kommentierte der Sportbericht. Als zusätzlicher Widersacher konstituierte sich mit dem Süddeutschen Sportverband eine Dachorganisation der Landesverbände von Groß-Hessen, Württemberg-Baden und Bayern, die eindeutig Stellung gegen den Süddeutschen Fußballverband bezog.


Sackmann muss gehen

Die Bemühungen der Gegenspieler resultierten schließlich darin, dass die Militärregierung Gustav Sackmann aufforderte, die vom Stadtkommandanten ausgestellte Lizenz unverzüglich zurückzugeben. Bar aller Trümpfe kämpfte Walter für die Wiederanerkennung der Oberliga. Um dieses Ziel durchzusetzen, willigte er gegenüber Strobel sogar ein, die Vereine in die Fußballsparte des Bundes für Sport und Körperpflege einzugliedern. Sackmann wiederum war damit nicht einverstanden und teilte Ministerialrat Hassinger im Kultusministerium per Brief mit, Herr Dr. Walter hätte seine Befugnisse überschritten. Diese Schreiben wurde dem Mitgründer der Oberliga Süd später zum Verhängnis: Auf einer Tagung am 16. Februar 1946 bekam der geschickte Verhandlungsführer Walter das Vertrauen der 16 Vereine ausgesprochen – Sackmann wurde entlassen.


Fast zwei Millionen Zuschauer

Die Liga beendete ihre erste Spielrunde unter Franz Kronenbitter als neuem Geschäftsführer. Am 20. Juli präsentierte Dr. Fritz Walter die stolze Bilanz der ersten Saison: Fast 8000 Zuschauer besuchten im Schnitt die 240 Spiele – insgesamt strömten also knapp zwei Millionen Menschen in die Stadien. Das Guthaben der Liga betrug rund 55 000 Reichsmark. Die beiden Karlsruher Vereine KFV und Phönix wären eigentlich abgestiegen, blieben aber nach Intervention von Kurt Schaffner, Dolmetscher bei der Militärregierung, doch in der Liga. Über die Landesligen qualifizierten sich der 1. FC Bamberg, der VfL Neckarau, die TSG Ulm 1846 und Viktoria Aschaffenburg, so dass die Oberliga Süd mit 20 Teams in ihr zweites Spieljahr startete. Der VfB Stuttgart hatte sich vor 50 000 Zuschauern im Neckarstadion mit einem 1:0-Sieg über den 1. FC Nürnberg zum ersten Süddeutschen Fußballmeister nach dem Krieg aufgeschwungen.

Die faszinierende Gründungsgeschichte der Oberliga Süd feierte so ein spektakuläres Saisonfinale. Die erste Liga ihrer Art in der Bundesrepublik Deutschland hatte bis zur Einführung der Bundesliga 1963 Bestand. 1951 ergänzten nach der Auflösung der französischen Zone die südbadischen und südwürttembergischen Spitzen-Vereine wie der SSV Reutlingen 05, der FC Singen 04 oder der Freiburger FC aus der «Zonenliga Süd» das Teilnehmerfeld. |


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