Von Roman Horschig
Kicken in den unteren Spielklassen
Ex-Profis im Amateurfußball
von Roman Horschig | In unserem Leben sind es oft die frühen Erfahrungen, die uns für immer prägen. Woran wir wahrhaftig Spaß haben, dafür wird die Grundlage schon in der Kindheit gelegt. So auch im Fall von Mohammed Abubakari. In seinen frühen Lebensjahren in Ghana lebt er auf der Farm seines Großvaters, an das ein selbst angelegtes Fußballfeld grenzte. Dieses Spielfeld ist «der Puls der Gegend», zu jeder Tageszeit sind Menschen dort und immer herrscht gute Laune. Dieser Platz in Kumasi, der zweitgrößten Stadt Ghanas, ist für den jungen Mohammed ein Ort der inneren Freiheit. Hier fängt der spätere Star an, Fußball zu spielen und denkt noch lange nicht an spätere Duelle mit Rivaldo oder Kaka. Er empfindet hier die tiefe Freude am Fußballspiel, die ihn nie wieder verlassen wird. Später wird der Afrikaner als defensiver Mittelfeldspieler Karriere machen und u. a. in der 1. Liga in Griechenland und in Schweden agieren. Das Feld aus seinen Anfangstagen erscheint dabei immer wieder vor seinem inneren Auge.
«Es ging nicht ohne»
Die große Freude am Sport ist die Grundlage für den Erfolg und nicht andersherum. Und das zeigt sich auch 2025: Denn heute läuft der Mann, der für den schwedischen BK Häcken auch schon in der Europa League spielte, für den FC Heitersheim in der Kreisliga auf. Ein krasser Kontrast zu seinem Profi-Dasein, der aber auch seine Gründe hat: «Meine Kinder haben ihr ganzes Leben ohne mich verbracht, das wollte ich jetzt ändern», sagt der Ex-Star. Eigentlich wollte der ehemalige internationale Akteur seine Schuhe an den Nagel hängen, doch er sagt: «Ich wollte einfach weiter Spaß beim Fußball haben, es ging nicht ohne!» Sein Schwiegervater führt ein Restaurant in Heitersheim, der lokale Verein hat sich daher für das Comeback angeboten. Auch abseits der großen Bühne genießt «Mo», wie ihn alle nennen, das Spiel.
Ähnliches gilt auch für Anton «Toni» Fink. Der zweifache Torschützenkönig der 3. Liga schnürt aktuell die Fußballschuhe beim FC Birkenfeld in der Kreisliga. «Egal in welcher Spielklasse, es macht Spaß, die Siege zu feiern», sagt der Torjäger schmunzelnd. Genuss und Fußball sind auch bei ihm seit seiner Kindheit verbunden, schon sein Vater war Fußballcoach und Fink trat bereits in frühestem Kindesalter gegen den Ball. Auch das Gefühl, Teil einer Mannschaft zu sein, ist dem Ex-Zweitliga-Profi wichtig. In den staatlich anerkannten Erholungsort hat ihn sein Schwager gelotst, nachdem sich die Profi-Zeit beim SSV Ulm dem Ende entgegengeneigt hat. Pure Erholung ist seine Zeit beim Kreisligisten allerdings nicht. Der ehemalige Stürmer ist Spielertrainer mit B-Lizenz und peilt auch langfristig größere Coaching-Aufgaben an. Auf seine Zeit in den obersten Fußball-Ligen wird er oft angesprochen und er erzählt auch gern davon. Sich an das niedrigere Niveau zu gewöhnen, war für Fink zu Beginn schon eine Umstellung, allerdings nie in dem Sinne, dass er sich über Mitspieler groß geärgert hätte. «Für mich zählt der Fußball – gegen den Ball zu kicken, ist eine der besten Sachen im Leben», sagt der Ex-Profi. Zu den elementar wichtigen Dingen im entspannteren Alltag des Goalgetters zählt auch die wertvolle Zeit mit seinen beiden Töchtern. «Ich werde nicht jünger», hält er nüchtern fest.
So geht es auch Sebastian Rudy. Der ehemalige deutsche Nationalspieler mit 29 Länderspielen und 358 Bundesligaeinsätzen spielt seit Oktober 2023 für die SpG Dilsberg/Bammental II in der Kreisklasse A Heidelberg. Der Wechsel von der TSG Hoffenheim in die neunte Liga erregte viel Aufsehen: Nach Erscheinen eines Zeitungsberichts tauchten beim nächsten Spiel mit Rudy doppelt so viele Zuschauer wie sonst auf und sorgten damit prompt für einen Saison-Rekord. «Bei mir stand das Telefon nicht still. Vereine haben uns zu Freundschaftsspielen eingeladen, Medienvertreter aus ganz Deutschland wollten mich über Sebastian Rudy ausfragen», erinnert sich Daniel Rittmeier, 1. Vorsitzender des 1. FC Dilsberg. An der medialen Aufmerksamkeit hat der Hoffenheimer Rekord-Bundesligaspieler jedoch kein Interesse. «Sebastian will nur Spaß haben und in Ruhe Fußball spielen», so Rittmeier. Rudy lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Dilsberg. Andere Angebote hat er natürlich auch bekommen, doch die haben ihn nicht interessiert: Wichtig ist ihm, mit dem Rad zum Training zu fahren, und noch wichtiger, möglichst wenig Wirbel um seine Person zu erzeugen.
»Da siehst du Dinger, die würde ein Profi nie versuchen»
Mehr Quality-Time und gleichzeitig noch eine gute Verbindung zum Fußball ist nicht nur für Fink und Rudy eine Top-Geschichte. Oliver Sorg, ehemaliger SC-Freiburg-Spieler, trainierte seit Ende vergangenen Jahres für rund fünf Monate den Verbandsligisten 1. FC Rielasingen-Arlen und Daniel Didavi, der 31 Tore für den VfB Stuttgart schoss, kam in der Kreisliga für den TSV Harthausen in dieser Spielzeit auf acht Einsätze. Große Namen an kleineren Schauplätzen.
Und noch eine lebende Bundesliga-Legende läuft mittlerweile in den unteren Gefilden auf: Ömer Toprak! Der 39-fache Champions-League-Spieler dirigiert als Libero beim SK Weingarten in der Kreisliga B die Vorderleute. Auch bei Toprak ist die Sache Familienangelegenheit, denn gleich mehrere direkte Verwandte spielen in seiner Mannschaft. Sein Bruder Harun ist sogar Trainer des Teams. Toprak erklärt: «Ich kenne noch viele Jungs aus der Kindheit. Und in der Zeit, in der ich in der Heimat bin, will ich mich einfach ein wenig fit halten und mit meinen Kumpels kicken.» Sein großer Name hilft dem SK beim Gewinn von Sponsoren und den Fußball will der ehemalige Profi auch nach der großen Karriere so oder so nicht missen.
Auch bei Alexander Esswein ist das der Fall, die sportliche Vita des Stürmers spricht für sich. Der bodenständige Spieler hat fast 200 Bundesliga-Spiele bestritten, u. a. für den FC Augsburg und Hertha BSC Berlin. Heute bestreitet er beim VfR Mannheim Spiele in der Oberliga. «Ich wollte sesshaft werden und die Zeit mit meinen Kindern genießen», sagt der Stürmer, der sich mit Größen wie Lewandowski oder Müller mehrfach duelliert hat. Die Gegenspieler gehen mit dem ehemaligen Profi aber «ganz normal und nett» um, übermotivierte Kontrahenten findet Esswein in der Oberliga gar nicht. Auch das entspanntere Umfeld gefällt dem 35-Jährigen, auch wenn er sagt: «Die andere Qualität musst du am Anfang schon ausblenden, denn der Ehrgeiz ist natürlich immer noch da!» Als Besonderheit in den unteren Klassen sieht Esswein vor allem das ein oder andere gefallene Tor. «Da siehst du Dinger, die würde ein Profi nie versuchen», sagt der ehemalige Torjäger mit einem Lächeln im Gesicht.
Auch Esswein wurde schon in ganz jungen Jahren vom Fußball infiziert, sein Vater nahm ihn als kleiner Junge immer mit in das legendäre Stadion des 1. FC Kaiserslautern, den Betzenberg. Als größte Umstellung in der Oberliga nennt der Angreifer die Trainingszeiten, jetzt abends, früher immer tagsüber. Im Gespräch wirkt Esswein entspannt. Er absolviert zurzeit seinen Trainerschein und seine weitere berufliche Zukunft scheint im Fußball zu liegen. Das Mehr an Zeit mit der Familie genießt der Vollblutstürmer maximal.
«Etwas zurückgeben»
Und Genuss ist das Stichwort für all die Akteure, die in Baden-Württemberg heute auf deutlich niedrigerem Level kicken – auch oder weil der Siegeswille dabei wohl niemals verloren geht. «Ich will Heitersheim etwas zurückgeben. Für die Menschen hier wären eine Meisterschaft und ein Pokalsieg etwas Großes», sagt beispielsweise Abubakari fast schon pathetisch. Auch Esswein stellt klar: «Du willst immer gewinnen!» Doch was alle Ex-Profis eint, ist, dass nach einer erfolgreichen Zeit im Rampenlicht jetzt mehr die Familie an erster Stelle steht. Und dass es trotz viel erlangtem Ruhm noch etwas Größeres und Tieferes auf dem Platz zu erleben gibt. Etwas, das vielleicht als Mischung aus Freude und Verbundenheit beschrieben werden könnte. Ein Gefühl, das schon der sechsjährige Mohammed auf dem Spielfeld in Kumasi gespürt hat und was ihn nie wieder losgelassen hat. Die Liebe zum Spiel. |