Von Arne Bauer
Künstliche Intelligenz beim Kicken
KI im Amateurfußball: Revolution oder Hype?
von Arne Bauer | «Hey Siri, plane ein 90-minütiges Training für 15 Spieler zum Thema Spieleröffnung unter Druck.» Was vor wenigen Jahren noch Science-Fiction war, ist heute Realität. Mit der kostenlosen Bereitstellung von ChatGPT hat künstliche Intelligenz einen neuen Meilenstein erreicht und unseren Alltag erobert. Reiseplanung, Hausaufgaben, Geschenkideen – es gibt kaum eine Aufgabe, für die KI-Anwendungen nicht eingesetzt werden. Revolutioniert KI auch den Amateurfußball? Wir wagen eine Prognose in den Bereichen Scouting, Spielanalyse und Trainingsplanung.
The Artificial One: Wenn KI zum Trainer wird
Nach dem Champions-League-Sieg mit dem FC Porto und seinem anschließenden Wechsel zum FC Chelsea taufte sich José Mourinho selbst auf den Namen «The Special One». Speziell war mit Sicherheit auch die Erfahrung, die die Spieler des norwegischen Proficlubs Hamarkameratene FC machten. Für ein Freundschaftsspiel der zweiten Mannschaft übernahm «The Artifical One» das Kommando – ein mit zwölf Milliarden Datenpunkten gefütterter KI-Coach.
«Schieße 14 Prozent härter», lautet eine der Anweisungen des nicht menschlichen Trainers in der Vorbereitung auf das Spiel gegen den Lokalrivalen Oppsal IF. «The Artificial One» entschied sich für eine 4-5-1-Startformation. «Die Daten zeigen, du schießt genauer in die rechte Ecke», flüstert er dem Schützen eines Elfmeters zu, der HamKam in der Anfangsphase zugesprochen wird. Bingo! Die 1:0-Führung steigt dem künstlichen Coach jedoch zu Kopf, oder besser gesagt auf die Platinen. Er verordnet seinem Team die Taktik «kollektive Balljagd» und stellt anschließend auf eine 1-0-9-Formation um – eine eher ungewöhnliche Taktik. Spätestens, als der Torwart vom KI-Coach aufgrund seiner großen Hände zum Ausführen von Einwürfen beordert wird, muss man feststellen: Das Experiment ist gescheitert. Der Hamarkameratene FC verliert die Partie mit 1:6.
Scouting
Während das norwegische Experiment des «KI-Trainers» mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist, steht außer Frage: Künstliche Intelligenz hat sich in Teilbereichen des Profifußballs längst etabliert. Beim Scouting helfen Computer-Programme beispielsweise dabei, die Stars von morgen anhand von Daten zu identifizieren.
Bahnbrechend für die datengetriebene Talent- und Spielersuche war die Erfolgsgeschichte der Baseballmannschaft Oakland Athletics. Als eines der Teams mit dem geringsten Budget in der Major League Baseball musste General Manager Billy Beane kreative Wege finden, um mit begrenzten Ressourcen konkurrenzfähig zu bleiben. Beane und sein Team wandten sich den «Sabermetrics» zu, einer datenbasierten Methode zur Analyse von Spielerleistungen. Den Oakland Athletics gelang 2002 trotz ihres geringen Budgets eine herausragende Saison. Auch wenn sie die World Series nicht gewannen, gilt die Geschichte als Durchbruch für das datengetriebene Scouting. Die «Moneyball»-Philosophie revolutionierte nicht nur den Baseball, sondern inspirierte auch andere Sportarten, Datenanalysen intensiver zu nutzen.
So auch den Fußball. Dort gelten u. a. der englische FC Brentford und der dänische FC Midtjylland als Vorreiter der Datenanalyse. Bei beiden hat Matthew Benham die Finger im Spiel, der in Oxford Physik studiert hat. Seit seinem Einstieg bei Midtjylland vor zehn Jahren ist der Club viermal dänischer Meister geworden. Ein Zufall? «Im Sport liegen extrem viele Daten vor», erklärt Jan Wendt. Seine Digitalplattform «Plaier» hilft Vereinen dabei, die passenden Akteure zu finden. Das Tool ordnet jedem Spieler einen Score zu, der sich aus den Daten errechnet, die die KI gesammelt hat. Angeblich greifen etliche Clubs aus den führenden Profi-Ligen auf die Möglichkeiten zurück, die Plaier bietet.
Anders als im Profisport gibt es auf Amateurniveau in der Regel kein strukturiertes Scouting. Die Auswahl von Spielern erfolgt über persönliche Kontakte – man kennt sich. Statistiken oder Daten über Spielerleistungen werden selten erhoben, geschweige denn systematisch ausgewertet. Ohne diese grundlegenden Informationen hat KI im Amateurfußball kaum eine Chance, die Suche nach passenden Teamergänzungen effektiv zu unterstützen.
Prognose: Die zunehmende Verfügbarkeit von einfachen Tools zur Datenerfassung – etwa Apps zur Spielanalyse oder Tracking-Systeme – könnte die notwendige Datenbasis auch im Amateurfußball schaffen. Aus praktischer Sicht werden dort jedoch auch zukünftig pragmatische Gründe den Transfermarkt beherrschen: Kann der Neffe vom Abteilungsleiter kicken, wer überredet beim Hallenturnier im Winter wen – und in welchem Sportheim gibt’s das beste Bier?
Spielanalyse
WM-Finale 2026: Julian Nagelsmann bekommt in der Schlussphase von seinem KI-Assistenten einen Hinweis. Es handelt sich um eine spielentscheidende taktische Umstellung, Einwechslung oder Schwachstelle des Gegners. Absurde Phantasie oder greifbare Vision? Dr. Pascal Bauer ist skeptisch. Bei einem WM-Spiel werden zwar 500 Millionen Datenpunkte erhoben, so der 32-jährige Datenanalyst des DFB, der unter Bundestrainer Hansi Flick Mitglied des Analyseteams bei der A-Nationalmannschaft war. Trotzdem sei die Live-Einflussnahme auf das Spielgeschehen äußerst begrenzt. «Ich glaube nicht, dass KI die Lücke findet», erklärt Bauer. Natürlich könnten Daten und Fakten dabei helfen, eine evidenzbasierte Entscheidungsgrundlage zu haben: «Spiele ich jetzt eher über rechts oder über links, spielen wir lange oder flache Bälle, spiele ich besser mit Dreier- oder Viererkette?» Der Einfluss auf das Geschehen auf dem Feld sei jedoch begrenzt – zu groß sind nicht kalkulierbare Faktoren wie die individuelle Qualität der Spieler oder auch einfach nur situatives Glück.
Bei der Videoanalyse kann KI hingegen stark unterstützen. Bauer beschreibt das wie folgt: Wenn der Trainer in der 40. Minute sagt, wir brauchen in der Halbzeit zwei Clips zum Thema XY, funktioniert das recht gut. «Mit sehr guten Algorithmen findest du dann auch nicht irgendeine, sondern die perfekte Szene», erklärt der Experte.
Während die Auswertung von Videomaterial in der Halbzeitpause auf den Fußballplätzen in Baden-Württemberg Seltenheitswert haben dürfte, sieht das im Nachgang eines Spiels ganz anders aus. Immer mehr Kameras stehen am Spielfeldrand und zeichnen Amateurspiele auf. Sowohl bei der Live-Übertragung als auch bei der Analyse kommt dabei KI zum Einsatz. Veo heißt eines der Unternehmen, die solche Kamerasysteme anbieten. Mit der KI-gestützten Spielverfolgungs-Technologie bleibt die Veo-Cam automatisch am Geschehen auf dem Spielfeld. Nach Abpfiff lässt sich das Spiel via App sofort einsehen und analysieren. Passfolgen, Heatmaps, Shot Map: Die KI-basierte Spielanalyse von Veo lässt keine Wünsche offen.
Prognose: Während die Live-Einflussnahme auf ein Fußballspiel wohl auch in Zukunft selbst im Profibereich eine untergeordnete Rolle spielen wird, unterstützen KI-Anwendungen bereits heute bei der Spielanalyse und -aufbereitung. Auch im Amateurbereich werden sich Systeme wie Veo weiterverbreiten und können Trainer und Spieler dabei helfen, ihre Spiele besser zu analysieren und schneller zu lernen.
Trainingsplanung
Kommen wir zurück zu unserem Anfangsbeispiel: Trainingsplanung per KI. Gerade im Amateurbereich, wo ehrenamtliche Trainer unterwegs sind und die Planung mitunter eine große Herausforderung darstellt, scheint diese Idee vielversprechend. Das findet auch Paul Prochiner. Der 27-Jährige hat mit seinem Start-up «Wetrainfootball» die Vision, die Fußballcoaches im Amateurbereich auf dem Platz zu unterstützen. «Wir waren selbst nicht zufrieden mit unserer Trainingsplanung, es gibt viele Unsicherheiten», erklärt er seine Motivation. Als Spielertrainer beim Reutlinger Stadtteilclub TSV Sickenhausen in der Kreisliga weiß er, wie es an der Basis läuft.
Mit einer App zur KI-gestützten Trainingsplanung, die im Frühjahr an den Start geht, möchten er und sein Team die Trainerinnen und Trainer im Amateurbereich unterstützen. Beispielsweise ist ein Feature «Training umplanen» angedacht, um auf kurzfristige Absagen zu reagieren. Rund 2500 Übungen habe man bereits in der Datenbank. Alle sind vom mittlerweile sechsköpfigen Wetrainfootball-Team persönlich selektiert und aufbereitet. Da jede Übung 180 verschiedene Datenpunkte hat, können die Algorithmen auf Knopfdruck ein passendes Training zusammenstellen – unter Berücksichtigung aller relevanten Parameter, beispielsweise der Trainingsdauer oder der Zielsetzung.
Mit ihrer App möchten die vier Gründer aus Reutlingen die Coaches im Amateurbereich entlasten und den enormen Zeitaufwand bei der Trainingsvorbereitung reduzieren. Zudem wolle man «das Kapazitätsproblem im Kopf lösen», sagt Paul Prochiner. Denn während das menschliche Gehirn als Datenspeicher begrenzt ist, lassen sich die Übungsdatenbanken von entsprechenden Anwendungen beliebig erweitern. Künstliche Intelligenz im Amateurfußball? «Ich denke, dass sie definitiv eine Rolle spielen wird», sagt der Start-up-Gründer, stellt aber auch klar: «KI wird den Trainer nie ersetzen, kann jedoch ein idealer Assistent sein. Denn im Fußball geht es eben auch um Emotionen und Persönlichkeit.»
Prognose: KI-unterstützte Trainingsplanung hat, insbesondere im Amateurbereich, großes Potenzial. Einerseits als Inspirationsquelle für Coaches, die ihren Spielern nicht immer dieselben Übungen präsentieren wollen, andererseits als pragmatische Unterstützung, um ein zielgerichtetes Training zu gewährleisten – auch mit höchster Flexibilität selbst bei unplanbaren Veränderungen der Rahmenbedingungen. Genau wie in den anderen Bereichen kann es einen qualifizierten, engagierten Trainer nicht ersetzen, wohl aber diesen unterstützen. | Arne Bauer, Stuttgart