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Von Heiko Rudolf

Pavel Popov

Schiedsrichter aus Leidenschaft

| Muttertag, 14. Mai, 16.53 Uhr: Soeben hat Pavel Popov das Derby in der Offenburger Kreisliga B3 zwischen dem SV Berghaupten und der SG Gengenbach/Reichenbach II abgepfiffen. Spieler und Trainer beider Teams klatschen sich nach dem 4:1-Erfolg des gastgebenden Favoriten ab und bedanken sich dann beim Schiedsrichter für dessen souveräne Leitung eines traditionsgemäß phasenweise auch etwas hitzigeren Nachbarschaftsduells, was insgesamt sieben Gelbe Karten belegen.

Pavel Popov hat ein Lächeln im Gesicht, die 90 Minuten plus Nachspielzeit hat er bei frühsommerlichen Temperaturen um 20 °C locker weggesteckt, auch einen Sprint in der Schlussminute vom einen zum anderen Strafraum – bei dem er auch den ein oder anderen Spieler überholte. «Ich habe wieder Spaß daran und kann es genießen, Schiri zu sein. Es ist schön, befreit von jeglicher Angst pfeifen zu können, ohne den Krieg permanent im Hinterkopf zu haben», erklärt der 27-jährige Ukrainer in astreinem Englisch.


Warten auf den Sprachkurs

Noch im Februar dieses Jahres hat der in Sibirien geborene Rechtsanwalt, der nach seiner Zeit als Assistent in einer Kanzlei zuletzt in der Rechtsabteilung eines großen Unternehmens tätig war, in der 4. Liga seines Heimatlands gepfiffen, die trotz des Kriegs ihren Spielbetrieb fortgesetzt hat. Nach einem Raketeneinschlag Mitte Februar nur wenige Blocks von der Wohnung Popovs in der knapp eine Million Einwohner zählenden Industriestadt Dnipro entfernt, hat er sich mit seiner Freundin Katarina, die er während seines Jurastudiums kennengelernt hatte, dazu entschlossen, das Land zu verlassen. «Das war der Knackpunkt, von da an war klar, dass wir hier rausmüssen », erklärt Katarina, deren Mutter mit ihrem Lebensgefährten und Schwester Marina bereits einige Zeit in Ringsheim lebt.

Doch weil die Ausreise aus der Ukraine nur Frauen und Vätern von mindestens drei Kindern vorbehalten ist, nutzte Pavel ein Programm als Fahrer zum Transport von Waren und Hilfsgütern, um am 17. Februar die ukrainisch-polnische Grenze bei Korczowa zu passieren. Mittlerweile ist das junge Paar in der südlichen Ortenau beheimatet und hat hier am 1. Juli auch mit dem sehnlichst erwarteten Deutsch-Sprachkurs begonnen.

«Leider gibt es nur sehr wenige Plätze, meine Schwester musste über ein Jahr warten», sagt Katarina und hofft, dass es bei ihr und ihrem Freund nicht so lange dauern wird. Denn die Sprachbarriere, die Pavel Popov auf dem Spielfeld in der Kommunikation mit den Spielern mit Körpersprache, Gestikulieren und Englisch wettmacht, ist beruflich gesehen ein Problem. «Wir wollen uns hier integrieren und Wurzeln schlagen. Dafür ist es wichtig, dass wir Deutsch lernen, unser Diplom anerkannt bekommen und Arbeit finden – am liebsten in der Rechtsabteilung eines Unternehmens», sagt Pavel. Er hofft neben Ukrainisch, Russisch, Tschechisch und Englisch eben bald auch die deutsche Sprache zu beherrschen. Bis es so weit ist, bleibt dem jungen Mann, der einst selbst kickte und sich mit 16 Jahren zum Schiedsrichter ausbilden ließ, sein Hobby Fußball als kleine Verdienstmöglichkeit.


Leben in Sicherheit

«Nur wenige Tage, nachdem Pavel in Deutschland angekommen war, hat er den Kontakt zum Südbadischen Fußballverband gesucht. Durch seinen Wohnort Ringsheim wurde er dann an mich weitervermittelt», sagt Stephan Bloß, Obmann der Schiedsrichtergruppe Ettenheim, über den talentierten Nachwuchsreferee. «Er ist Schiedsrichter aus Leidenschaft, man merkt gleich, dass er schon höherklassig gepfiffen hat. Pavel sucht den Kontakt zu den Spielern, das ist seine Art, eine Partie zu leiten», lobt Bloß den Auftritt des neuen Mannes, der in seinen ersten Wochen bereits Jugendspiele bis zur Landesliga und Partien in der Kreisliga B und A leitete. Stephan Bloß, der von der Egidius-Braun-Stiftung des DFB 500 Euro Fördermittel zur Integration ukrainischer Flüchtlinge zugesagt bekam, ist optimistisch: «Sein Talent wurde schnell erkannt. Daher wird Pavel in der Saison 2023/24 auch schon in der Bezirksliga eingesetzt – mit Ausblick auf die Landesliga.»

«Ich will mich hier als Schiedsrichter weiterentwickeln, Fußball hat in Deutschland einen sehr großen Stellenwert und bietet mir tolle Perspektiven», so Popov, der sich jedoch nicht nur auf den Sportplätzen, die im Vergleich zu den unterklassigen Ligen in seiner Heimat mit bestem Rasen ausgestattet seien, wohlfühlt: «Die Ortenau mit ihrer tollen Natur gefällt mir, doch auch die Altstädte in Freiburg, Straßburg, Colmar oder Basel haben es mir angetan.»

Das Leben in Sicherheit in dieser schönen Gegend würde Pavel Popov auch gern seinen Eltern ermöglichen, die ihre Heimat jedoch nicht verlassen wollen. «Ich vermisse sie und sie vermissen mich. Wir telefonieren jeden Abend mit Video.» Der 27-Jährige ist Tag für Tag erleichtert über Lebenszeichen aus der Heimat und hofft, dass er den ersten Muttertag nach Kriegsende mit einem Besuch bei seinen Eltern verbringen kann. |