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Von Jürgen Frey

(R)eintreten für die Stuttgarter Kickers

Blaue Radler auf Auswärtstour

| Überfüllte Sonderzüge mit bierseligen Gestalten – so stellt man sich oftmals Fußballfans auf Auswärtsreisen vor. Die Blauen Radler touren dagegen im gemütlichen Konvoi durch die baden- württembergische Provinz und unterstützen ihren Lieblingsverein, die Stuttgarter Kickers. Der Aufstieg in die Regionalliga brachte für sie aber eher Nachteile.

Die Gruppe mit ihren schmucken Trikots mit der Aufschrift «Blaue Radler» zieht überall die Blicke auf der Tribüne auf sich. Es ist bitterkalt, regnerisch und stürmisch an diesem Samstagnachmittag im Freiberger Wasenstadion. Als sich die diesmal überschaubare Gruppe kurz vor der Halbzeit zur Stärkung eine Stadionwurst gönnt, strahlt dennoch jeder übers ganze Gesicht: «Das Spiel ist sehr erwärmend», so der Tenor. Schließlich führen die Stuttgarter Kickers im Regionalliga-Spitzenspiel beim SGV Freiberg mit 1:0. Am Ende verteidigt der Aufsteiger mit einem 2:0-Sieg die Tabellenführung. Und die radelnden Kickers-Fans machen sich – trotz allerwidrigsten Bedingungen – quietschfidel um kurz vor 16 Uhr auf den Heimweg. «Wenn das Ergebnis stimmt, radelt es sich gleich viel besser. Und was die Mannschaft als Aufsteiger bisher leistet, ist wirklich phänomenal», sagt Hans-Dieter Trotter.

Er ist der Gründer der Blauen Radler. Der topfitte Rentner legt 8000 bis 10 000 km pro Jahr auf dem Rad zurück. Seit den 60er-Jahren fiebert der Darmsheimer als Anhänger mit den Kickers mit. Bei einem Fantreffen lernte er den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden Philip Pfeiffer kennen, der konnte ihn für die sogenannte Zukunftswerkstatt «Anstoß Blau» gewinnen. Nach dem Abstieg der Kickers in die Oberliga 2018 ging der Verein auf die Suche nach kreativen Ansätzen, wie das Miteinander in und um den Verein gefördert werden kann. «Dort entstand die Idee, unseren Lieblingsclub zu Auswärtsspielen mit dem Rad zu begleiten. Keiner von uns will sich profilieren, wir wollen einfach für die Kickers werben», sagt Trotter.

Er und sein Team haben den Verein aber auch schon tatkräftig unterstützt: Beim ersten offiziellen Nachhaltigkeits-Spieltag am 2. September im Rahmen des Heimspiels gegen die TSG Balingen übernahmen die Blauen Radler verschiedene Aufgaben – vom Betreuen des Glücksrads über die Verlosungen von Fußballpreisen bis zur Präsentation spannender Fahrrad-Lektüre. «Die Kickers hatten angefragt, ob wir die Sache unterstützen. Da waren wir gerne dabei», sagt Trotter.

Neben dem einheitlichen Radtrikot haben die insgesamt 45 Mitglieder auch in einem Sonderheft ihre Lieblingstouren samt Streckengraphik beschrieben. «Das Runde muss ins Eckige – das Herberger-Zitat gilt für die Kickers. Die Runden in schönen Ecken – das gilt für unser Heft», erklärt Trotter. Neben den Mitgliedern der Blauen Radler haben auch Prominente wie Ex-Coach Robin Dutt, Kickers-Ikone Ralf Vollmer oder der frühere Geschäftsführer Marc-Nicolai Pfeifer (jetzt 1860 München) ihre Lieblingsstrecken dokumentiert.

Die Blauen Radler kommen gut an. «Wir sind, egal, ob in Pforzheim, Backnang, Göppingen oder Bruchsal – eigentlich überall – sehr gut und freundlich empfangen worden, gerade auch im Badnerland, da durften wir uns sogar mal am Kuchenbüfett bedienen», sagt Trotter. Ein paar kleinere Problemchen gab’s nur in Großaspach, als die Kickers dort gegen den FSV 08 Bietigheim-Bissingen spielten. Ordner und Sicherheitsdienst im Stadion seien nicht auf Radler eingestellt gewesen, die einen weiten Weg mit entsprechender Ausrüstung hinter sich haben, sogar ein Päckchen Erdnüsse sei einem abgenommen worden.

«Bei den Schwierigkeiten am Eingang kam schon dem einen oder anderen ein ‹Nie mehr Ponyhof› über die Lippen», kann sich Trotter einen kleinen Seitenhieb in Richtung des Rivalen nicht verkneifen. Inzwischen haben sich die Wege der beiden Clubs getrennt. Wobei der Aufstieg der Kickers für die Blauen Radler eher Nachteile brachte, wie Trotter einräumt. Die Fahrten sind weiter, weshalb es in dieser Regionalligasaison neben Freiberg bisher nur noch für eine weitere Auswärtsfahrt reichte – an den Kaiserstuhl zum Bahlinger SC.

Ansonsten besteht die größte Herausforderung für den früheren Geometer des Sindelfinger Vermessungsamts darin, für alle Teilnehmer der Tour die richtige Strecke unter Einbeziehung des ÖPNV zu planen – und das auf möglichst landschaftlich reizvollen, verkehrsarmen Wegen. Dabei gilt es, die unterschiedlichen Fitnesszustände der Biker zu berücksichtigen. Beim Trip in der vergangenen Saison nach Backnang war der älteste Teilnehmer 81 Jahre alt – der einzige mit E-Bike. Zudem war seinerzeit erstmals auch ein Radler einer Betriebssportgruppe mit professioneller Ausrüstung am Start. «Ich hatte leichte Bedenken, die sehr heterogene Gruppe zusammenhalten zu können, aber alles ging sehr gut», zog Trotter ein rundum positives Fazit der damaligen Premierentour 2023.

Freuen würden sich die sympathischen Biker in Blau sicher über die Begleitung eines Kickers-Verantwortlichen bei einer ihrer Touren. Ex-Profi Enzo Marchese wollte Trotter schon einmal zum Trip von Böblingen nach Degerloch animieren. «‹Oh, nein, mein Knie macht da nicht mit›, lautete Enzos Antwort», so Trotter mit einem Grinsen. Im Rahmen des Nachhaltigkeitsspieltags hat sich der ehemalige Mittelfeldspieler dann aber doch zu ein paar Kilometern auf dem Drahtesel überzeugen lassen. Trotter: «Wir haben ihm dafür extra ein Fahrrad besorgt.»

Für die Regionalliga-Rückrunde stehen Touren nach Aalen, Balingen, Walldorf oder Hoffenheim auf dem Plan. Und Trotter hat noch eine weitere Idee im Hinterkopf: «Vielleicht wäre ein Kickers-Gönner ja bereit, uns ein Begleitfahrzeug zur Verfügung zu stellen.» Bei Gelegenheit will der Vorzeige-Radler der Kickers mal bei dem einen oder anderen vorfühlen. Denn wer weiß: Vielleicht werden die Fahrten in der neuen Saison noch weiter, schließlich ist die 3. Liga eine bundesweite Spielklasse … |