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Von Nico-Marius Schmitz

Timo Jankowski führt die Fidschi-Inseln zur WM

Von Südbaden in die Südsee

| Das Bild des Videocalls ruckelt noch ein bisschen, aber dann ist Timo Jankowski zu sehen. «Im Moment ist Zyklon-Saison. Die letzten Wochen hat es viel geregnet, es gibt viel zu tun», sagt er. Jankowski arbeitet als Technischer Direktor für den Fußballverband auf Fidschi. Und will den Inselstaat zu einer Weltmeisterschaft führen. Aber wie kommt ein Badener aus der kleinen Gemeinde Dogern an der Schweizer Grenze, der zwölf Jahre im professionellen Fußball gearbeitet hat, zu solch einem Projekt in der Südsee?

Bei Timo Jankowski liegt die Leidenschaft in der Familie. Vater Peter war selbst begeisterter Torwart und Fußball-Enthusiast. Auch der Junior verbrachte von klein auf den ganzen Tag auf dem Bolzplatz, kickte in der U17, der damals höchsten Jugendliga. Nach dem Abitur zog es Jankowski nach Australien, zum Fußballspielen und Entdecken. Über den Kapitän seiner Mannschaft kam er in Kontakt mit Wynton Rufer (Bundesliga-Legende, u. a. 174 Spiele für Bremen), der in Auckland eine Fußballschule leitete. «Ich bin zufällig in die Trainersparte reingerutscht. Ich habe in den Ferien mal reingeschnuppert und es hat mir auf Anhieb Spaß gemacht», sagt Jankowski. Doch bei seiner Reise durch Neuseeland fing er sich einen Tropen-Virus ein: «In Vanuatu hat es mich komplett verblasen.» Ein Jahr lang ausgeknockt, das war es mit der aktiven Karriere als Fußballer. Jankowski studierte nach dem Neuseeland-Abenteuer Betriebswirtschaft und wusste anschließend, was er nicht machen möchte in seinem Leben. Schon im Alter von 24 startete Jankowski mit seinem Trainerschein, arbeitete erst beim Südbadischen Fußballverband und dann beim DFB als Stützpunkttrainer.


Grünes Licht für das Abenteuer auf der anderen Seite der Welt

Die letzten zehn Jahre verbrachte Jankowski in den unterschiedlichsten Funktionen bei den Grasshoppers Zürich. Jugendtrainer, Co-Trainer bei den Senioren, zuletzt als Ausbildungschef. «Der Verein wurde von chinesischen Investoren übernommen. Ich dachte mir, das ist der richtige Zeitpunkt, um was Neues anzufangen.» Vielleicht war es auch der Fußball auf jenem Niveau, von dem Jankowski eine Auszeit brauchte, oder all die Interessengruppen um Eltern und Spielerberater, die oft einen negativen Druck ins Spiel bringen. «In den letzten 12 Jahren habe ich im professionellen Fußball eine Vielzahl an Trainern erlebt, deren familiäre Situation unter diesem Druck extrem gelitten hat.» Das sollte ihm, selbst Vater von drei kleinen Töchtern, nicht passieren.

Eine neue Zielsetzung mit der Familie also. Ursprünglich sollte es nach Madagaskar gehen. 25 Millionen Einwohner, keine richtige Fußballinfrastruktur und trotzdem schon im Viertelfinale des Afrika-Cups. «Wenn man auf die Fußballweltkarte schaut, ist das vermutlich eines der letzten spannenden Projekte», sagt Jankowski. Über ein Jahr hatte er sich mit diesem Vorhaben schon beschäftigt. Aber dann kam Corona. Und die Situation in Madagaskar, dem Land mit dem dritthöchsten Wert im Welthunger-Index, verschlechterte sich nochmals. «Hunderttausende sind vom Hungertod bedroht, es gibt Un­ruhen. Diesen Schritt wollten wir mit der Familie dann doch nicht machen», sagt Jankowski. Ein Freund von ihm machte ihn darauf aufmerksam, dass Fidschi (auf Rang 163 der FIFA-Weltrangliste) einen Technischen Direktor sucht. Es folgten Gespräche mit dem Nationaltrainer. Der 75-jährige Däne Flemming Serritslev, 1992 beim EM-Triumph von «Dan­ish Dynamite» Co-Trainer, begeisterte Jankowski. Der 37-Jährige wusste sofort: Das passt! Auch der Familienrat gab grünes Licht für das Abenteuer Südsee.


Ersten Erfolge mit der U20

Beim Start seiner Aufgabe auf Fidschi war die Qualifikation für die U20- und U17-Weltmeisterschaft ein Jahr entfernt. Jankowski fragte nach, wie denn der Spielerpool aussehe. «Da wurde nur geschwiegen.» Es gab einen Schulwettbewerb, aber keinen organisierten Nachwuchsfußball. «Wir haben die ganzen Inseln abgeklappert und auch in den abgelegensten Dörfern Spieler gefunden», sagt Jankowski. Zudem muss jede Mannschaft in der höchsten Liga zwei U19-Spieler von Anfang an spielen lassen. Als Sponsor wurde McDon­ald’s gewonnen, in der nächsten Saison gibt es erstmals von der U9 bis zur U19 Jugendligen. Das rohe Talent sei überall vorhanden. «Die Grundbegabung, die Koordination sind bei einem Kind von den Fidschi-Inseln im Vergleich zu einem deutschen Kind viel fortgeschrittener», sagt Jankowski. Was fehlt, ist die Organisation der Nachwuchs­arbeit. «Aber man darf es auch nicht überstrukturieren. Was dann passiert, sieht man gerade ja ganz gut im deutschsprachigen Raum.»

Jankowski ist keiner, der im Anzug in VIP-Räumen rumlungert. Er sei viel unterwegs, dadurch lernt er die Dörfer und die Dorfchefs – Rau heißen sie – kennen. Zeigt ein Spieler besonderes Talent, wird der Technische Direktor sofort informiert. Fidschi erstreckt sich auf 300 Inseln, von denen 110 bewohnbar sind und auf die sich die rund 924 000 Einwohner verteilen. Rugby ist hier Volkssport. 2021 gab es im 7er-Rugby bereits die zweite olympische Goldmedaille. «Die füllen hier einfach eine Plastikflasche halb voll mit Wasser und nehmen die als Rugbyball», erzählt Jankowski: «Wenn du da anhältst und schmeißt denen einen Ball raus, spielt die Hälfte nach zwei Tagen schon Fußball.»

Die ersten Erfolge gibt es auch schon. Die U20 hat sich für die Weltmeisterschaft dieses Jahr in Indonesien qualifiziert. Jankowski erzählt von Fataul, den er auf der Nordinsel Vanau Levu entdeckt hat. «Die Eltern sind ein bisschen krank, er schuftet den ganzen Tag auf der Farm. Fataul ist jetzt im U20-Kader, es gibt einige von diesen tollen Geschichten.» Bei Fidschi denken viele an traumhafte Inseln. Aber das ist nur für die Touristen, sagt Jankowski. Er erzählt von Spielern, die mit zehn Familienmitgliedern in Wellblechhütten leben, zum Teil auf dem Boden schlafen. «Sie essen was und wissen nicht, wann es das nächste Mal etwas gibt. Den Jungs ist es noch höher anzurechnen, dass sie sich für die U20-WM qualifiziert haben.»


Trumpf Barfußspielen

Und Jankowski denkt noch weiter. Ab 2026 bekommt Ozeanien eineinhalb Startplätze für die Fußball-WM. Einen fixen und einen Play-off-Platz. «Und wenn es ein Rückspiel gibt und Neuseeland muss auf Fidschi oder den Salomon-Inseln spielen, dann ist alles offen», sagt Jankowski: «Hier gelten eigene Gesetze.» Auf den Fidschi-Inseln wird unheimlich physisch und mannorientiert gespielt. Eine weitere große Stärke ist der ruhende Ball, die U20 erzielte auf dem Weg zur WM-Qualifikation fünf Tore nach Standards. «Wir haben so eine Wucht, da brauchst du gar keine großartige Variante. Die sind von klein auf so, die gehen wie verrückt in die Bälle rein.»

Ein weiterer Trumpf? Das Barfußspielen! Jankowski berichtet von Jean-Marc Guillou. Ein ehemaliger französischer Nationalspieler, der in dem afrikanischen Staat Elfenbeinküste eine Fußballschule aufgebaut und mit seinen Methoden Arsène Wenger inspiriert hat. In seiner Akademie spielen die Kinder bis zum 16. Lebensjahr nur barfuß und jonglieren jeden Tag eine Stunde. Salomon Kalou, Yaya Touré, Emmanuel Eboué, Gervinho, … Sie alle stammen aus Guillous Ausbildungszentren. Jankowski empfiehlt den Akademien in Europa, das Barfußspielen fix einzuführen, ein- bis zweimal die Woche. Für ihn ist das Training dort zu oft nach Schablone, es fehlen die verrückten, die unerwarteten Sachen. Wie sollen sich da kreative Spieler entwickeln?

Er spricht das Champions-League-Finale zwischen Real und Liverpool an. 60 bis 70 Prozent des Kaders seien aus Südamerika und Afrika. Dort würden die Spieler «größtenteils auf der Straße spielen, bis sie 15, 16 sind». Und dann kommen die europäischen Akademien, die Hunderte Millionen für die technisch versierten Talente hinblättern. «Lass den Spieler einfach einmal barfuß beim Torschuss in den Boden reinhauen, da verbessert sich die Technik automatisch ganz schnell», sagt Jankowski. Und nicht nur das. Eine Verletzung habe er in seiner Zeit auf den Fidschi-Inseln noch nicht mitbekommen. «Muskelbeschwerden kennen die gar nicht», sagt Jankowski: «Die klettern hier den Kokosnussbaum hoch, von den Jungs braucht keiner ein Fitnessstudio.» |